Erinnerungsstätte Matthias Erzberger

Im wild-romantischen Lautertal mitten auf der Schwäbischen Alb gelegen erinnert in Münsingen-Buttenhausen eine Dauerausstellung an Matthias Erzberger. 2004 im Geburtshaus Erzbergers errichtet, stellt sie den Lebensweg dieses katholischen Wegbereiters deutscher Demokratie vor. Geboren 1875 führte ihn eine steile Karriere aus einfachen politischen Verhältnissen am Ende des Kaiserreiches und während der frühen Weimarer Republik in höchste politische Ämter. Als einen der führenden Köpfe der verhassten Demokratie ermordeten ihn 1921 rechte Nationalisten.

Inszenierte Bildräume – gestaltet durch das weltweit tätige Atelier Brückner –, Medien und originale Ausstellungstücke stellen in den engen Räumen des Geburtshauses die politische Biografie Erzbergers vor und veranschaulichen das lange Zeit umkämpfte Erinnern an ihn. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg erarbeitete 2003/04 die Ausstellung und betreut diese inhaltlich, die Stadt Münsingen ist Träger der Institution, der eigens dafür gegründete Geschichtsverein Münsingen übernimmt die Führungen durch das Haus und kümmert sich um den Aufsichtsdienst.

Die Erinnerungsstätte spannt den Bogen von Erzbergers Kindheit im jüdisch-protestantischen Buttenhausen bis zur Gegenwart. Der 1875 geborene Erzberger zählte zu den wenigen Katholiken in seinem Ort und wuchs in unmittelbarer Nähe zu Synagoge, Mikwe und jüdischem Friedhof auf. Als „Anwalt der kleinen Leute“ wirkte Erzberger ab 1896 im württembergischen Katholizismus als politischer Journalist und Multifunktionär und half katholischen Arbeitern, Bauern und Handwerkern, Vereine zu gründen und die eigenen Interessen zu vertreten.

Ab 1903 als Volksvertreter im Reichstag kämpfte Erzberger für mehr Rechte des Parlaments und profilierte sich bei der Aufdeckung von Kolonialskandalen. Im Ersten Weltkrieg wandelte sich Erzberger von einem Befürworter deutscher Annexionen zu einem Vorkämpfer für einen Verständigungsfrieden. Als Minister der letzten kaiserlichen Regierung unter Reichskanzler Max von Baden unterzeichnete er auf Anweisung des Militärs und der deutschen Regierung am 11. November 1918 den Waffenstillstand von Compiègne. Mit seiner Unterschrift endete im Westen der Ersten Weltkrieg. Seltene Exponate erzählen vom kontroversen internationalen Erinnern an dieses historische Ereignis bis heute.

Während Erzbergers Verhandlungen waren in Deutschland die Monarchien zusammengebrochen, der Kaiser war in das Exil gegangen und die Republik ausgerufen worden. Nach Berlin zurückgekehrt stellte sich Erzberger in den Dienst der neuen revolutionären Regierung, kämpfte für die Schaffung einer parlamentarischen Demokratie und für ein Bündnis seiner katholischen Zentrumspartei mit Liberalen und gemäßigten Sozialdemokraten.

Erzberger trug entscheidend zur Annahme des Versailler Friedensvertrages bei, als die Weimarer Nationalversammlung 1919 vor der schwerwiegenden Entscheidung zwischen drohendem Einmarsch des gegnerischen Militärs oder Frieden zu äußerst harten Bedingungen stand. Erzbergers Ziel war es, die drohende Besetzung Deutschlands durch die Alliierten und die Zerschlagung der jungen Demokratie zu verhindern.

Zudem baute er 1919/20 innerhalb von neun Monaten das deutsche Steuer- und Finanzwesen um, um der Weimarer Republik eine tragfähige finanzielle Grundlage zu schaffen. Denn das Deutsche Reich hatte nach dem Krieg immense Schulden, zu denen riesige Reparationsforderungen der Alliierten kamen. Dabei schuf er Strukturen, die bis heute Bestand haben. Seine Unterschrift unter den Waffenstillstand, sein Eintreten für die Unterzeichnung des Versailler Vertrags und seine Finanz- und Steuerpolitik machten Erzberger zu einem der verhasstesten Politiker der frühen Weimarer Republik. Maßlose Hetze von rechts und Attentatsversuche waren die Folge.

Am 26. August 1921 ermordeten Mitglieder der Organisation Consul, einer antirepublikanischen Geheimorganisation, Erzberger in Bad Griesbach im Schwarzwald. Die Täter wollten nicht nur einen der Köpfe der jungen Demokratie ausschalten. Das Attentat sollte auch den Auftakt zu einem Putsch bilden, der die Weimarer Republik durch eine rechte autoritäre Herrschaft ersetzen sollte. Dazu kam es 1921 nicht. Doch sollte das Erinnern an Erzberger höchst kontrovers und Teil des Kampfes um die Demokratie in den 1920er und 1930er Jahren bleiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte der Name Erzberger in der politischen Kultur der Bundesrepublik hingegen keine relevante Rolle mehr. Erst seit den 1980er Jahren wird wieder vermehrt an diesen Wegbereiter der deutschen Demokratie erinnert, wie die Ausstellung in ihrem letzten Teil deutlich macht und dabei den Bogen bis zur Gegenwart spannt.

Seit 2004 hat sich die Erinnerungsstätte Matthias Erzberger mit ihren drei Säulen Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stadtarchiv Münsingen und Geschichtsverein Münsingen zu einem wichtigen Kristallisationspunkt der Auseinandersetzung mit Matthias Erzberger als einem wichtigen Wegbereiter deutscher Demokratie entwickelt.

Das Buch zur Ausstellung:
Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.), Matthias Erzberger. Ein Wegbereiter der deutschen Demokratie, Stuttgart 2011, 107 S., ISBN: 3933726387 . 12,50€

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