Goldbeck über das Gebäude des Landtags von Lippe
„Als dieses Landtagsgebäude eingeweiht wurde, hatte der 1. Weltkrieg noch nicht begonnen, Lippe war noch eine Monarchie, die sich auch durch diesen mächtigen und repräsentativen Gebäudekomplex darzustellen wusste. Der Landtag war noch nach dem Dreiklassenwahlrecht zusammengesetzt. Es gärte aber bereits im Hintergrund. Tiefgreifende Wandlungen bahnten sich an, die Revolution von 1918 stand vor der Tür.“
Festansprache von Hans-Bodo Goldbeck, Vizepräsident des Landgerichts a.D., Lippischer Heimatbund, anlässlich der Anbringung der Gedenktafel „Ort der Demokratiegeschichte“ am ehemaligen lippischen Landtag am 15.1.2023
Meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Festversammlung,
ich freue mich, dass Sie – die Spitzen und Repräsentanten unseres Gemeinwesens, aber auch die interessierte Öffentlichkeit – an diesem Sonntagnachmittag so zahlreich erschienen sind, und danke Ihnen, dass Sie aus dem heute gegebenen Anlass deutlich machen, dass es keineswegs selbstverständlich ist, in einem demokratischen Gemeinwesen zu leben und dass es gerade in diesen Zeiten notwendig ist, sich um unser demokratisches Zusammenleben zu bemühen und Farbe zu bekennen.
Die Initiative „Orte der Demokratiegeschichte“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Orte unserer wechselhaften demokratischen Geschichte zu erfassen und in den Blick zu nehmen. So wurde jüngst am 30. November 2022 u.a. das Gebäude des Reichstags in Berlin, in dem heute der Deutsche Bundestag residiert, als ein solcher Ort anerkannt und durch Tafeln gekennzeichnet.
Wir sind zusammengekommen, um aus Anlass der „Lippe-Wahl“ vom 15. Januar 1933 den ehemaligen Lippischen Landtag als weiteren Ort unserer Demokratiegeschichte zu markieren und so der Allgemeinheit bewusst zu machen. Mein Anliegen ist es, Ihnen die Örtlichkeit näher zu bringen und eine grobe zeitliche und örtliche Orientierung zu vermitteln. Zu den historischen und politischen Zusammenhängen wird anschließend Frau Dr. Sunderbrink als Stadtarchivarin sprechen.
Lippe blickt in diesem Jahr auf eine wenigstens 900jährige Geschichte zurück. Seit fast 500 Jahren gibt es schriftliche Aufzeichnungen zu den über Jahrhunderte ständisch zusammengesetzten Landtagen. Sie wurden von den jeweiligen Landesherren einberufen und tagten an vielerlei Orten, so z.B. auch in Cappel, einem Ortsteil von Blomberg. Insbesondere nach 1871 mit der Gründung des Deutschen Reichs und den folgenden „Gründerjahren“ hatte sich die Stadt Detmold unter Stadtbaumeister Karl Leopold Petri über den Bruchberg hinaus nach Westen hin ausgedehnt: So wurde 1874 der Kaiser-Wilhelm-Platz eingeweiht und jüngst rekonstruiert. Infolge der Großen Reichsjustizreform wurde 1879/1880 unter Fürst Woldemar an der Paulinenstraße das Gebäude des Landgerichts, nicht zu verwechseln mit dem Landtag, errichtet. Wenig später entstand im gleichen Quartier das Gebäude der Fürstlich-Lippischen Landesspar- und Leihekasse, das „Kassengebäude“, heute Sitz der Staatsanwaltschaft. Ab 1910 folgte das Gebäude der Fürstlich Lippischen Regierung mit seinem imposanten Turm, in dem heute das Amtsgericht Detmold seinen Sitz hat.
Der Landtag residierte zu der Zeit noch im Eckhause Grabenstraße 12/Exterstraße. Weil sich dieses und die Räumlichkeiten für Land- und Amtsgericht als deutlich unzureichend erwiesen, unterbreitete das Fürstliche Staatsministerium – an seiner Spitze stand damals Max von Gevekot – im Februar 1912 eine Vorlage betreffend den Neubau für Landtag und Landgericht, zu errichten in der Lücke zwischen Landgerichtsgebäude und Kassengebäude. Diese Planung wurde aufgegriffen und umgehend umgesetzt: Die Grundsteinlegung erfolgte noch im gleichen Jahr. Bereits am 14. März 1914 fand in Anwesenheit von Fürst Leopold IV die Einweihung des von Baurat Paul Böhmer geplanten Baues statt.
Gern möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einige bauliche Eigenarten dieses Gebäudes lenken:
Vom Kaiser-Wilhelm-Platz her fügt sich das Gebäude des Landtags imposant in den Gesamtgebäudekomplex ein. Es springt in der Gebäudefront etwas vor und überragt die rechts und links gelegenen Baukörper des Landgerichts und der heutigen Staatsanwaltschaft deutlich. Sogleich fallen die drei großen Rundbogenfenster im OG, die Säulenstruktur, die Reliefs in der Attika und der Portikus des Haupteingangs ins Auge. In dicken Blockbuchstaben steht über dem Haupteingang „LANDTAG.“ Wohlgemerkt mit Punkt, nach dem Motto „hic et nunc“. Zeugt dies nicht von Selbstbewusstsein? Bescheidener ist der Eingang „für Zuhörer“ ausgefallen.
Über eine repräsentative Treppe erreichen Sie eine Halle, von der früher eine weitere Treppe in das Obergeschoss führte. Dieser Gebäudeteil ist erst in den 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts entfernt worden.
Dem Zeitgeist der Jahrhundertwende entsprechend sind zahlreiche Fenster in farbigem Kathedralglas ausgeführt. So finden Sie im OG nach Süden hin dominant das Große Wappen des lippischen Fürstenhauses zwischen den Stadtwappen von Detmold und Lemgo. Außerdem sind die Wappen von Horn, Lage und Schwalenberg dargestellt. Diese Glasmalereien sind von der damals in Bielefeld ansässigen Fa. J. Sehrbunt gefertigt worden.
Ist Ihnen das große Wandgemälde an der Wand zum Landtagssaal aufgefallen? Sie glauben – befinden Sie sich doch in einem Justizgebäude – auf eine Gerichtsverhandlung zu blicken? Sie irren: Es ist die künstlerische Darstellung der 1. Sitzung des Lippischen Landtages unter Graf Simon VI. am 14. Juli 1579 in Cappel. Natürlich – befinden wir uns doch im Landtagsgebäude! Das Gemälde schuf der damals sehr bekannte Kunstmaler Bruno Wittenstein, der 1913 auch der Mitbegründer des Lippischen Künstlerbundes war. Es entstand nach 1916 und war – auch kriegsbedingt – erst 1919 fertiggestellt.
Schauen wir uns nun noch in dem Saal um, in dem wir uns heute versammelt haben! Ist Ihnen schon aufgefallen, dass hier noch Stühle vorhanden sind, die im Kopf der Lehne die lippische Rose tragen? Diese Stühle – es müssen noch einige mehr gewesen sein – wurden bei einer grundlegenden Renovierung des Baues zu Beginn dieses Jahrhunderts auf dem Boden gefunden und restauriert.
Wenden wir den Blick nun zu den drei großen farbigen Glasfenstern, die erst von innen her ihre volle Wirkung entfalten! Sie wurden von der Fa. Ferdinand Müller aus Quedlinburg, dem damalig auch international tätigen Marktführer, gefertigt und wohl auch entworfen. Ein Künstler ist nicht bekannt. Die Kosten dafür beliefen sich auf ca. 1.200 Mark, was heute (2022) etwa 7.400,00 € entspricht.
Im mittleren Fenster ist Justitia – hier ohne Augenbinde – als Personifikation der Gerechtigkeit mit dem Bibeltext: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk“ dargestellt. Diese Darstellung hat also – ich hoffe, dies haben meine bisherigen Ausführungen deutlich gemacht – nichts mit der heutigen Nutzung des Saales als Sitzungssaal für Gerichtsverhandlungen zu tun, sondern war eine Mahnung an die Mitglieder des Landtags.
Im linken Fenster finden sich die Symbole einzelner Berufsgruppen: Eule mit Buch (für Weisheit, Justiz); Ähren, Schlegel, Sense, Sichel (für Ackerbau); Geweihe (Jagd)
Im rechten Fenster erkennen Sie die Symbole weiterer Berufsgruppen, nämlich: Stab mit Schlangen, Adlerflügel, Buch („Hermesstab“, „Merkurstab“, Caduceus; stehend für Wirtschaft und Handel, aber auch Medizin); Werkzeuge Zange, Hammer, Dreieck, Lineal (Handwerk); Radwerke (Mechanik)
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
als dieses Landtagsgebäude eingeweiht wurde, hatte der 1. Weltkrieg noch nicht begonnen, Lippe war noch eine Monarchie, die sich auch durch diesen mächtigen und repräsentativen Gebäudekomplex darzustellen wusste. Der Landtag war noch nach dem Dreiklassenwahlrecht zusammengesetzt. Es gärte aber bereits im Hintergrund. Tiefgreifende Wandlungen bahnten sich an, die Revolution von 1918 stand vor der Tür. Wie sich die weiteren Entwicklungen darstellten, wird Ihnen nun Frau Dr. Sunderbrink erläutern.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit!
Comments are closed.